Sonntag, 18. Januar 2015

Selun - Eine Gratwanderung?

Der Selun (2205m) war schon vielfach das Tages-Ziel meiner Träume. Heute wollte ich dem medienscheuen J. diesen langgezogenen Gipfel vorstellen.

Die letzten Tage hatte es endlich mal geschneit. Die Hoffnung war also berechtigt, heute ohne Steinkontakt abfahren zu können.
Bereits um 5:30 Uhr fuhren wir von KN nach Starkenbach (920m). Angekommen im Toggenburg, sind wir gegen 7:15 Uhr mit Stirnlampen losgelaufen. Nach nur einer viertel Stunde wurden die Lampen überflüssig und wir tauschten sie großzügig gegen die eintretende Morgendämmerung ein. Am Parkplatz war zuvor keine Menschenseele zu sehen. Es musste also erst einmal gespurt werden, wie auch bereits im Januar 2014.
Der Schnee und die morgentliche Ruhe sorgten für eine sehr positive Stimmung. Mit passablem Tempo kamen wir gut voran. Ab und zu jedoch musste der Foti ausgepackt werden, um die Eindrücke für unechte Erinnerungen festzuhalten. Bald schon konnten wir die ersten Gipfel in der Sonne glänzen sehen. Natürlich waren es die beiden Alpstein-Berühmtheiten: Säntis und Schafberg.
Säntis & Schafberg
Den Strichboden (1636m) erreichten wir gegen kurz nach 9:15 Uhr. Die ersten 700hm waren geschafft. Wir waren schon relativ platt, sodass wir uns über den kurzen Besuch eines weiteren Töurlers freuten. Er holte auf der gelegten Spur zügig auf und ist dann hochmotiviert weiter in Richtung Gipfel aufgebrochen. (O-Ton: "Ihr kommt ja auch gleich und helft mir beim Spuren?!" - "Ja klar!")
Strichboden mit Antenne
Brisi, Frümsel und Selun
So machten wir es uns bequem und harrten insgesamt über eine Stunde (!) hier aus. Der Wind war dann aber doch so frisch, dass wir uns zusammenpackten und die zweite Etappe angingen.
Alpstein
Nun zeigte sich ein ganz anderes Bild: Eine tiefe Spur vor uns und trotzdem die Sonne blendete konnte wir etwa 15 weitere Bergfreunde vor uns erkennen. Sie alle hatten den Bogen zum Strichboden nicht gemacht und uns in diesem Zuge unbemerkt überholt. An dieser Stelle kehrten kurze Zweifel auf, weshalb wir mitten in der Nacht von Konstanz gestartet sind, um dann anderen Menschen hinterherzulaufen. Aber sei es drum. Selbst schuld. Gleichzeitig war die tiefe Spur sehr angenehm und kraftsparend.
Als wir den eigentlichen Bergrücken des Selun erreichten, kam uns bereits der Kollege von vorhin entgegen =). Die Abfahrtsperformance machte aufgrund der Schneeverhältnisse nicht gerade den besten Eindruck. Aufgrund der Kälte und des Windes war hier oben am Berg nicht mehr viel vom Powder im Tal zu sehen.
Überraschend langsam schleppten wir uns die letzte Stunde bis auf den Gipfel. Wir hatten eindeutig schon bessere Tage...

Der Ausblick entschädigte mal wieder für jede Schweißperle. Benachbarte Zacken-Gipfel in Osten und Westen. Vor uns der Walensee und der Blick in die Südschweiz. Hinter uns die Heimat.
Blick auf Wart, Schären und Nägeliberg. Dahinter die Leistchämme.
In der Ferne die Berner 4000er! 9 sind es, doch welche sehen wir? Finsteraarhorn, Lauteraarhorn, Schreckhorn, Mönch?
Mr. T im Zoom
Beim Abfellen war es dann Zeit, eine Heldentat zu verbringen. So zog ich beide Felle ab, ließ die Bindungen im Aufstiegsmodus und schmiss die Ski vor mich in den Schnee. Die Lehrstunde war in Sekundenbruchteilen erfolgreich. Nie wieder werde ich das machen. Ein Ski landete sicher, der andere flog mit dem Belag auf den Schnee und machte sich in unglaublichem Tempo selbstständig. Der frische Service beim Böhmsport scheint gut gewesen zu sein =)

Trotz Usain-Bolt-Sprint-Start gelang es mir nicht, den Ski einzuholen und festzuhalten. Der Ski schoss straight bergab, bevor er dann in einer Staubwolke verschwand. Okay, was nun? Vermutlich hat der seitliche Abgrund des Berges den Ski verschluckt. 1000de Gedanken rannten mir durch den Kopf. Dann viel mir auch auf, wie schnell und weit ich, mit Fell um den Hals gewickelt, den Berg abgerannt bin. Der Aufstieg zurück auf den Gipfel war enorm mühsam. Ohne Steighilfen kam ich mir vor, wie bei meinen ersten Gehversuchen. Der Plan war schnell gemacht: J. fährt die schöne Seite ab, ich laufe direkt dem Ski hinterher. Eine kleine Hütte half uns als Orientierung für die Falllinie. Wir wussten natürlich nicht, ob der Ski abgestürzt ist oder nicht. Und falls er abgestürzt ist, ob man seitlich "abklettern" kann oder ob der unendlich weite Bogen gelaufen werden muss.

Mit einem Ski auf dem Rücksack lief ich also der kaum sichtbaren Spur hinterher und kam abwärts gut voran. Noch bevor der Berg "abbricht" sah ich eine "Latte" auf dem Boden liegen. Vielleicht war es auch ein Stein oder eine Bank? Aber eine Bank mit K2-Logo habe ich noch nie gesehen. Es war also mein Ski! Kurz vor dem Sprung seines Lebens hatte er sich besinnt und ist seinem alten Herrn treu geblieben. Danke. Einen Freudenschrei konnte ich mir nicht verhalten. Die in Sichtweite aufsteigenden Töurler haben ein wenig verwundert geschaut, doch was interessieren mich diese Spätaufsteher =)

Felle wieder aufgespannt, dann queren, um in den fahrbaren Schnee zu gelangen. Schon bei den ersten Schritten meldeten sich die völlig überreizten Oberschenkel zu Wort. No Chance auf weitere Höhenmeter und eine Komplettabfahrt. Es ging also auf die gekürzte Abfahrt, bei der ich auch wieder auf J. traf. Er konnte es auch kaum glauben, als er zwei Ski unter meinen Füßen sah. Wir hatten uns bereits mit dem "worst-case", dem Abstieg zu Fuß, auseinandergesetzt.

Nun war es auch auf Ski eine ordentliche Qual. Die Beine schmerzten und der Pausenplatz am Strichboden war meine letzte Motivation. Dort angekommen, tankten wir nochmals ausgiebig Kraft und verarbeiteten das Geschehene. What a f****** day!
Erst im unteren Teil der Abfahrt war der Schnee einfach zu fahren und in ausreichendem Maße vorhanden. Die Waldabfahrt vom letzten Jahr war aber noch nicht möglich.
Läuft!
Nach zwei weiteren Fotopausen kamen wir gesund aber völlig platt gegen 14:00 Uhr am Parkplatz an.
Start und Ziel: Der Parkplatz der Selunbahn
GPS-Auswertung: 6:57h // 1320hm // 12.2km
Fazit: 7 Stunden voller Genuss, Abenteuer, Angst und Freude. Eine Gratwanderung für die sich das frühe Aufstehen gelohnt hat.

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