Mittwoch, 28. September 2016

Monte Limidario / Gridone - Eine emotionale Gratwanderung


Auf der Suche nach ein wenig Entspannung reisten Anne und ich für ein paar Tage in's beschauliche Dorf "Camberto", was nahe der Staatsgrenze hoch über dem Westufer des Lago Maggiore liegt.
Monte Limidario in weiter Ferne
Bereits die letzte halbe Stunde der Anreise hatte es in sich: enge Straßen, steile Abhänge, zudem wackelige MTBs auf dem Dachträger. Aber gewohnt souverän manövrierte Anne die Kiste ins Ziel, zog die Handbremse und der Urlaub begann:
An Tag 1 wollten wir den Hausberg Monte Zeda (2156m) in Angriff nehmen. Der Wegweiser nahe der Unterkunft zeigt über 5 Stunden Marschzeit für den Aufstieg an. So sah auch der Blick auf den entfernten Gipfel aus. Wir beschlossen, die MTBs mitzunehmen, was sich als große Herausforderung darstellte: eine Tragepassage folgte der nächsten. Nach 2 Stunden Quälerei legten wir eine Rast ein und beschlossen, die Mission abzubrechen. Der Gipfelerfolg war in weit Ferne gerückt.

Nach der Stärkung waren wir bereit für die anspruchsvolle Abfahrt auf den laubigen Trails. Schnell waren wir zurück an der schönen Unterkunft und genossen einen gemütlichen Nachmittag, ein feines Abendessen und anschließend die Ruhe und den Sternenhimmel auf dem Balkon.

An Tag 2 frühstückten wir bei bestem Wetter auf der Sonnenterrasse und schmiedeten den finalen Plan für die nächste Herausforderung. Mit dem Auto fuhren wir über die Landesgrenze in ein Tessiner Bergdorf namens Mergugno (1065m). Erst gegen 11:00 Uhr brachen wir zu der "weitläufigen" Rundwanderung auf. Über schöne Pfade stiegen wir bei angenehmen Temperaturen zum Rifugio al Legn (1785m) auf, welches wir nach etwa 1.5 Stunden erreichten. Schon öfter habe ich diese Hütte online in Tourenberichten gesehen, doch live ist sie noch eine Stufe imposanter.
Vor lauter Staunen vergessen, ein Bild von der genialen Hütte und dem Lago zu machen =(
Nach weiteren 1.5 Stunden Marsch erreichten wir gegen 14 Uhr unser heutiges Tagesziel, den Monte Limidario (2188m). Ein imposanter Gipfel mit einem tollen 360°-Blick. Die Fernsicht ins Monte Rosa und zu den dortigen Riesen blieb uns aufgrund der aufziehenden Wolken leider verwehrt.
Gipfel in Sicht =)
Nach dem strammen Aufstieg gönnten wir uns fast eine Stunde Gipfelrast. Die Wetter war hervorragend, zudem waren wir wie gefesselt von den Eindrücken des Tessins und des Piemonts.
Panorama mit glücklicher Anne ;-)
Der AlpenSim in seiner Glückseligkeit
Stundenlang hätte ich hier verweilen können, um die Wolkenspiele vor azurblauen Himmel zu beobachten. Doch der Abstieg wird weit und der Nachmittag ist bereits angebrochen...
Für den Rückweg wählten wir eine weite und anspruchsvolle Route. Der obere Teil des Abstiegs war vom Gipfel einsehbar. Doch wirkte es bedeutend einfacher, als es sich in Realität darstellte. Statt der geschätzten Stunde bis Mottone (1986m) benötigten wir gute  2 Stunden. Immer wieder war es sehr ausgesetzt und wegen der angetauten Wiesen rutschig. Trotz vorhandener Fixseile und Ketten fühlte ich meinen Verstand und meinen Körper selten so gefordert.
Der Weg über den Grat wirkt aus der Ferne einladend, vor Ort eher wie eine "T5 II"
Zwischen den unzähligen An- und Abstiegen entlang dem Grat legten wir eine Konzentrationspause ein. Den "point-of-no-return" hatten wir bereits überschritten. Retour gehen und über das Rif. Al Legn abzusteigen fühlte sich utopisch weit an. So hieß es weiter kraxeln und hoffen, dass wir bald zurück auf humanere Wanderwege kommen.
Am späten Nachmittag erreichten wir Mottone. Erst jetzt hatten wir die Hälfte der Tagesdistanz(!) überwunden, doch mit (großer) Sicherheit kamen nun keine technischen Herausforderungen mehr.
Blick auf den bereits weit entfernten Monte Limidario
Um 18 Uhr standen wir auf den kleinen Gipfel des Pizzo Leone (1659m). Immer wieder atmeten wir durch und waren wie "gefangen in einem emotionalen Abenteuer". Wie die Dämmerung einbrach, erhöhten wir das Tempo, passierten die Alpe di Naccio wortlos, obwohl es nach offenem Feuer roch.

Langsam hatte ich Sorge um den Akku im GPS Gerät, welches uns den sicheren Rückweg zum Auto versprach. Trotz guter Ausrüstung kam eine gewisse Unruhe in mir auf. Die Dimensionen, die fremde Umgebung, die einkehrende Dunkelheit - all das sind große Herausforderungen, wenn man seinen sonstigen Alltag auf einem Bürostuhl oder dem heimischen Sofa verbringt =)
Bewusst verspätet (Belohnungseffekt) nahm ich die Stirnlampe aus dem Rucksack und konnte die Stimmung wörtlich aufhellen. Auf wundervollen Wanderwegen durchquerten wir eine wilde, grüne Landschaft. Das Ende der Tour war nicht mehr weit. Nach 5 Stunden Abstieg erreichten wir um 20 Uhr den Parkplatz. Schön, nach so einer Tour zurück "in Sicherheit" zu sein.

GPS-Auswertung: 18.3 km // 1580 hm // 8:48 h
Epilog
Zwischen dem Abenteuer auf den Monte Limidario und diesem Beitrag liegen bereits 6 Monate, trotzdem sind die Eindrücke noch gegenwärtig. Es ist ein unglaubliches Gefühl, nach so einer weiten und ausgesetzten Tour wieder zurück "in Sicherheit" zu sein. Die Freudentränen standen uns auf den Augenliedern, wie wir uns auf dem Parkplatz umarmten. Natürlich waren nie in großer Gefahr, doch so wie in Körper, Geist und GPS-Gerät die Energie schwindet, so steigt die Sorge. Entsprechend groß ist der Genuss, wenn der Akku wieder gefüllt wird =)

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